Als Sophie auf die Straße trat, pulsierte die Musik bereits in ihren Adern, sie konnte das Gelächter der anderen in der Stadt hören, die verschiedenen Parfüms riechen, die sich mit dem Geruch nach Salzwasser, Jasmin und Bergamotte vermischten, der ständig in der Luft lag. Es war so warm, dass sie nur ein leichtes Kleid aus hellblauer Baumwolle trug, das sich gut von ihrer gebräunten Haut abhob.
Ihre Brüder hatten ihr verboten, heute Nacht auszugehen, sie war vierzehn, deswegen war sie von zu Hause weggeschlichen, hatte ihre hohen Schuhe vorsichtig vor sich hergetragen, erstens, weil sie nicht besonders gut auf ihnen laufen konnte, zweitens, weil sie Angst hatte, ein Geräusch zu machen.
Jetzt sah sie ihre Freundinnen vor dem Club stehen, die mit pinkfarbenem Neonlicht beleuchtet war. Der Club, an dessen Eingangstür beidseitig Türsteher aufgereiht waren, strahlte ihren abgesifften Glanz auf die dunkle Straße, beleuchtete sie und schien die Nightlifeliebenden magisch anzuziehen. Lil’ Waynes Lollipop pulsierte aus der Bar, der Beat machte sie lebendig, und gab den vorbei Schleichenden einen heißen Vorgeschmack auf ihr Innenleben.
Sophie fiel ihren Freundinnen überschwänglich in die Arme, während die aufgedrehten Mädchen sich gegenseitig über die Schultern schielten, um zu sehen, wer sie sah. Sie schrien einander Komplimente zu und beneideten sich gleichzeitig. Sophie war stolz auf ihr Kleid und hätte liebend gerne Louisas Perlenkette gehabt.
Plötzlich sahen sie eine Gruppe Jungs in die Bar gehen, alles schien den Atem anzuhalten, denn diese Jungs waren etwas anderes, als das das Städtchen es gewohnt war. Sie waren viel älter als Sophie, groß, trugen dunkle Jeans und hatten sich die dunklen Haare nach hinten gekämmt. Sophie merkte, wie der eine sie anlächelte und sie wurde sofort rot, denn sie hatte noch nie so blaue Augen gesehen.
»Ich bin jetzt mit Enrico zusammen.«, sagte Sylvia plötzlich und Sophie blickte erschrocken ihre Freundin an. Sylvia sah irgendwie verändert aus, vielleicht war es nur die Schminke, aber Sophie hatte ihre Freundin noch nie so erwachsen und geheimnisvoll gesehen.
»So richtig zusammen?«, fragte Katarina zweifelnd und hob eine Augenbraue. Sie hatte schon am meisten Erfahrung gesammelt, mit einem von Louisas älteren Brüdern.
»Ja. So richtig.«, sagte Sylvia und zupfte an ihren schwarzen Haaren, die ihr heute glatt über den Rücken fielen.
»Du weißt, dass du mit ihm schlafen musst?«, fragte Katarina und fixierte sie.
»Muss ich das wirklich?«, Sylvia blickte unsicher zu Sophie und Louisa, die auf ihren Unterlippen kauten, dann sah sie Katarina an, die zu lachen anfing und sich wegdrehte.
»Du bist eben doch nicht richtig mit ihm zusammen.«, sagte sie verächtlich. »Und ich dachte, ich hätte endlich jemanden zum reden, der kein Baby mehr ist.«
Sophie warf der kleinen Louisa einen Seitenblick zu, die nervös auf ihren hohen Schuhen wippte. Sie wollte kein Baby sein.
Sie trank mit ihren Freundinnen zwei Cocktails und fand, dass der Alkohol grässlich schmeckte. Aber sie sagte nichts, weil Sylvia und Louisa um Lobesgesänge auf die Getränke wetteiferten und Katarina ihnen allen noch einen dritten Cocktail bestellte.
Auf der Tanzfläche sah sie den Jungen mit den blauen Augen wieder, aber sie traute sich nicht, ihn anzusprechen. Sie blieb immer am Rande der Tanzfläche und tanzte bei ihren Freundinnen, bis er zu ihr kam, ihre Hand nahm und sie in die Mitte der Tanzfläche führte. Erst war Sophie unsicher und traute sich nicht, den fremden Jungen anzuschauen, aber als sie die anerkennenden Blicke der älteren Mädchen und den Neid auf den Gesichtern ihrer Freundinnen sah, schenkte sie ihm ein schüchternes Lächeln. Sie spürte den Alkohol und wirbelte im Kreis herum, tanzte mutige Choreographien, wie es nur die älteren Mädchen taten, wenn sie einem Jungen gefallen wollten. Ihre Freundinnen klatschten Beifall, wenn sie zu ihnen herübersah und eines der älteren, schönen Mädchen zog sie auf das Podest zu sich. Sie hatte rot gefärbte Haare und eine weiße Blume hinterm Ohr, die sie Sophie spontan ins Haar steckte.
Sophie tanzte mit den erwachsenen Mädchen und es schien niemandem aufzufallen, dass sie keine großen Brüste hatte und nicht so gut tanzte, wie die anderen. Alle schienen sie zu mögen, auch die anderen Jungs, aber allen voraus der Junge mit den blauen Augen. Von dem rothaarigen Mädchen erfuhr sie, dass er Mario hieß und einundzwanzig war.
Bei den langsamen Liedern tanzte sie eng mit ihm, legte ihren Kopf an seine Brust und schloss die Augen. Sie wurde immer müder, aber sie hatte Angst, dass die älteren Mädchen sie auslachen würden, wenn sie jetzt ging. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass Katarina und Sylvia ihr hektisch winkten, Louisa war nirgends zu sehen und Sophie schloss die Augen wieder. Sie hörte, wie ihre Freundinnen ihren Namen riefen, aber da fing ein schnelles Lied wieder an und das Jauchzen der älteren Mädchen übertönte alles andere in ihrem Kopf.
Als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, nahm der Junge mit den blauen Augen sie an der Hand und führte sie hinaus.
»Ich hoffe, du bist nicht zu müde.«, sagte er, »Dann können wir noch an den Strand fahren.«. Seine Stimme klang tief und leise und Sophie lächelte. Sie war unendlich müde.
Er hob sie auf sein Motorrad und sie seufzte glücklich, als sie bemerkte, dass er seine Freunde für sie zurückließ.
Als sie am Strand ankamen sah sie, dass dort eine riesige Party im Gange war, aber diese Party war anders, als die auf der Tanzfläche. Sie sah die Rothaarige wieder, die mit einem Jungen knutschte. Sophie war das peinlich und fragte sich, warum, es war ja nicht sie, die in der Öffentlichkeit küsste.
»Wie heißt du?«, fragte sie der Junge mit den blauen Augen.
»Sophie.«
Er lachte leise, als fände er ihren Namen schön. »Und wie alt bist du, Sophie?«
»Siebzehn.«, log Sophie und blickte auf ihre hohen Schuhe, die im Sand versanken.
»Siebzehn«, wiederholte er, es klang, als würde er einen Moment lang zweifeln, aber dann drehte er ihr Gesicht zu sich und küsste sie auf den Mund.
Sophie war so überrascht, dass sie instinktiv versuchte, ihn weg zu schieben, woraufhin er sie stärker an sich presste.
War das die Liebe?, fragte sich Sophie verwirrt und stellte sich vor, wie sie ihren Freundinnen darüber morgen berichten würde. Der Junge zog sie zu sich in den Sand und versuchte, ihre Knie auseinander zu schieben. Sophie presste die Beine zusammen.
»Was ist?!«, fragte er gereizt. Er klang ungeduldig und sein Blick wanderte gierig an ihrem Körper entlang.
Sophie sah ihn erschrocken an. Als sie nicht sagte, presste er ihre Schultern in den Sand. »Na also.«, sagte er, »geht doch.«
Sophie fing an zu weinen. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte Kopfschmerzen und fühlte sich entsetzlich müde. Sie verstand nicht, wie Katarina mit der Liebe angeben konnte.
»Hör auf zu heulen!«, fauchte der Junge mit den blauen Augen und schlug ihr ins Gesicht. Es war nur ein leichter Schlag, aber er ließ Sophie aufschreien.
Sie stieß ihn weg und rannte über den Sand, wobei ihr die Blume aus dem Haar fiel.
Keiner beachtete sie. Weder die älteren Mädchen, die um ein Lagerfeuer tanzten, noch die älteren Jungs, die träge im Sand lagen. Über dem Himmel ging die Sonne auf.
Sophie (Adina)
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