Lichter des Lebens (Naomi)

Lichter des Lebens

Fast märchenhaft sah es aus, wie sich eine dünne Schneedecke über Dächer und Straßen legte, wie man in die Fenster der gegenüberliegenden Wohnungen schauen konnte und in Gedanken versank.

Wenn ich so beobachtete, wurde mir seit langem erst wieder bewusst dass diese Welt außerhalb der dicken Wände hinter denen ich mich vergrub, nicht gemalt oder gezeichnet war, sondern dass sich hinter jedem Fenster persönliche Geschichten verbargen. Man konnte Einblick nehmen in das Leben anderer, Einblick in deren Freude, wie sie um den Weihnachtsbaum herum standen und sangen, in deren Wut wenn man ein Fenster weiter schaute und sah wie sich das junge Paar stritt und in die Trauer der Menschen die wohl nichts mehr schönes, liebenswertes in ihrem Leben sahen.

Wenn man mich als ein Mensch im „Schaufenster“  wahrnehmen würde, sähe man eine junge Frau, der dritten Rubrik. Jedoch sähe man sie nicht ganz hoffnungslos, da sich in ihrem Gesicht ihre Sehnsucht wiederspiegelte. Manchmal stand sie da  2 Stunden, manchmal einen Tag lang bis sich jedes Fenster verdunkelte und die Menschen für diesen Tag ihre Emotionen erst einmal genauso löschten wie das Licht in den Räumen in denen ihr tägliches Leben stattfand.

Man könnte mich als Zuschauer des Lebens bezeichnen, nach dem ich mich sehnte. Ein Leben voller Gefühle, die ich schon lange nicht mehr wahrnahm. Die einstmals so bunte Welt verlor an Farbe, Harmonie, als würde man mir nach und nach den Lebenshauch rauben und mich als reglosen Körper einer Puppe zurücklassen.

Was dies veranlasste geschah zur selben Jahreszeit vor einem halben Jahrzehnt.

Ich war gerade in dem schwierigsten Alter, in der Entwicklung eines Mädchens zu einer Frau, in der Pubertät. Plötzlich sah ich die Welt  mit neuen Augen, aus Perspektiven die mich erschreckten, aus Neuartigen die mir Türen zu Gebieten öffneten die mir wildfremd waren. Ich war mit mir beschäftigt als gäbe es niemand weiteren in meinem Leben. Nach der Schule verkroch ich mich in mein Zimmer und lies mich bis zum Abendbrot nichtmehr blicken. Und wie ich mich veränderte, taten es auch meine Eltern. Lautlos und trotz aller Tatsachen nicht unbemerkt. Zwar sah ich meine Mutter lachen wenn ich das Zimmer betrat, doch  ihr Herz wurde davon nicht berührt, denn es war das Selbe Dauergrinsen das sie aufsetzte wenn sie aus Gefälligkeit über die Witze fremder schmunzelte. Dabei funkelten ihre Augen weder wie bernsteinfarbene Kristalle, noch waren die Lachfältchen über ihren Wangenknochen zu erkennen. Ich konnte spüren wie sich die Last auf ihren Schultern häufte, sehen wie sich ihre Augen Tag für Tag verdunkelten und ihre Wangen schlaff herunterhingen, als wäre sie ohne Wasser durch die Wüste gewandert. Mein Vater griff immer öfter zur Flasche und sein Verhalten änderte sich dementsprechend. Es dauerte nicht lange bis er meiner Mutter gegenüber gewaltsam wurde. Auch hierzu schwieg man in meiner Familie, doch ich vermutete es, es lag nahe. Eines Abends stand ich mit meinem Nachthemd bekleidet in der Küchentür und sah sich diese Vermutung bestätigen. Ich rannte so schnell mich meine Füße tragen konnten in mein Zimmer.  Vor meinen Augen spielte sich in Dauerschleife die Szene ab, die ich eben mit ansehen musste. Zitternd vor Angst saß ich auf meinem Bett, unterlegen des Gefühls ich müsse meiner geliebten Mutter helfen. Doch ich sah mich machtlos wie ein Körnchen Staub im feurigen Auge des Geschöpfs, bedroht von seinem Atem, mich davon zu tragen, mich zu vernichten, als wäre es das einzige wofür man es auf die Erde schickte. Ein Krieg in mir brach aus, ausgetragen zwischen Verstand und Gefühlen. Während mir die Tränen unaufhaltsam die Wangen herunter flossen, rannte ich auf die Straße in der Hoffnung irgendjemand könne mir helfen. Dabei bemerkte ich zum ersten Mal, dass ich ein sensibles, zartes Wesen war und wünschte mir ein Teil des starken Geschlechts zu sein. Hinter mir stand  unser starkes ockergelbes Sandsteingemäuer und  ich empfand es als Schutz das nichts von dem im Inneren Stattfindende nach außen hindurch dringen ließ. Erstmals, mit meinem Nachthemd und in Socken auf der eiskalten, nassen Straße stehend, konnte ich einen klaren Gedanken fassen. Erstmals bemerkte ich das viele Leben hinter den Fenstern, die mir wie Schaufenster vorkamen und unwissend wie mir geschah schrie ich sie an, um mir zu Helfen. Meine Füße konnten mich nichtmehr halten. Ich sank zu Boden. Die Polizei kam. Krankenwagen.

Stimmen nahm ich kaum wahr. Und nur Lichter konnte ich verschwommen erkennen. In den Fenstern wurden sie auch in dieser Nacht wie immer gelöscht, als wäre nichts geschehen, als würden mit der Dunkelheit all die Probleme der Menschen verschwinden.

Manche Lichter löschten sich in dieser Nacht für immer.

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s