Die Muse (Adina)

Die Muse

Als sie morgens aufsteht und in den Spiegel schaut, verzieht sie das Gesicht. Obwohl sie umwerfend aussieht, kann sie nie mit sich zufrieden sein, denn ihre Ambitionen streben das Wort MAKELLOS an. Im Seidenpyjama sieht sie wie eine Skizze aus, die darauf wartet, farbig ausgemalt zu werden.
Seufzend geht sie an ihren Kalender, der sonst vor Terminen zu platzen scheint, ähnlich wie ihr winziges cremefarbenes Kleid, wenn sie sich nicht endlich für immer von den Pralinen lossagt. Sie weiß, sie ist eine Diva. Aber es ist ja auch Samstag und sie hat einen entsetzlichen Kater.

Ihr anderer Kater von letzter Nacht ist Gott sei Dank eben gegangen. Wohin, das weiß sie nicht und sie fragt sich einen Moment lang, ob sie ihn wiedersehen wird.
Sie möchte gerne heiraten, die Frage ist bloß, wen und für wie lange.
Sie steigt seufzend über ihre silbernen Absatzschuhe, schiebt das Telefon mit den rot lackierten Zehen zur Seite – seit wann liegt es auf dem Boden? – gießt im Vorbeigehen die Blumen und bemerkt auf dem Weg zur Küche, dass sie die Glühbirne im Flur austauschen und das moderne Bild an die Wand anbringen muss.
Zum Glück hat sie keine Kinder, obwohl sie manchmal gerne welche hätte, aber Karriere, Kinder UND eine ewige Jugend vertragen sich ungefähr so gut wie sie und ihre scheußliche Rivalin, die es nicht lassen kann, damit anzugeben, dass sie doppelt promovierte Wirtschaftsingenieurin ist und ein Team von zwanzig Männern leitet.
Sie gießt den Martini in ein Saftglas, obwohl das entsetzlich stillos ist und brät sich ein Spiegelei, während sie melancholisch über sich selbst sinniert.

Ist es nicht unglaublich, wie schwer sie zu greifen ist? Gestern früh war sie die Kreative gewesen, die kompetente Businessfrau, die wenig arbeitet und viel verdient, mittags die liebe Tante, die der älteren Schwester die Kinder für drei Stunden abnimmt und mit ihnen eine halbe Ewigkeit im Park herumrennt, damit die gute Schwester mal zum Friseur kann. Abends war sie die Freundin gewesen, die ihre Lieben beim Shoppen berät, sich Geschichten anhört, lacht, interessiert an ihrem Kaffee nippt. Nachts, die Geliebte, sie hatte sich umwerfend schick gemacht, in sündhaftteure Stoffe gehüllt und wofür?
Damit sie heute, nach dem Esseneinkaufen auf dem Markt ihre Tüten selber schleppen kann. Sie nimmt resigniert einen großen Schluck Martini, greift in den Kühlschrank und holt neben der Kaviarbüchse auch ihre Brille heraus, die mit den falschen Gläsern, die sie nur braucht, wenn sie intelligent aussehen möchte.

Bei Gelegenheit müsste sie auch jemanden finden, der ihre Winterreifen wechselt, denn alleine kann sie das nicht. Sie sagt, sie sei selbstständig, aber sie kann weder den Fernseher reparieren, noch eine Gardinenstange montieren.
Ach, zum Teufel mit der Emanzipation! Sie schmollt und wischt ihren Lippenstift verstohlen vom Glasrand.
Sie würde lieber sterben, als ihre Freiheit aufzugeben und sich ewig binden. Launisch, wie sie ist, verlangt sie Rosen, Pralinen, Schmuck, die ganze Palette an Galanterie. Aber sie will auch ernst genommen werden. Eigentlich wie furchtbar, wenn ein Mann für sie zahlen will, schließlich verdient sie mehr als genug, um sich etwas leisten zu können.
Sie denkt an ihre Eskapaden, wie oft hätte man sie dafür in eine falsche Schublade stecken können!

Kichernd brüht sie Kaffe auf, trinkt ihren Martini und blinzelt in das helle Sonnenlicht, das durch die Fenster scheint.
Auf ihrem Touchscreen blinken zwölf unbeantwortete Anrufe. Wie gefragt sie doch ist. Selbstzufrieden läuft sie zu ihrem überquellenden Kleiderschrank, legt nachdenklich den Kopf schräg, tippt sich prüfend mit dem Zeigefinger gegen die vollen Lippen und verengt leicht ihre Augen.

Nach einer halben Stunde steht sie immer noch dort, das Spiegelei in der Küche ist längst so verkohlt, dass sie sich entschlossen hat, später irgendwo frühstücken zu gehen. Sie kann nicht mal kochen, was sie als Frau eigentlich können sollte und sie gibt nur ungern zu, dass der Kerl, mit dem sie letzte Woche zusammen gewesen ist, ein umwerfendes Menü gezaubert hat.
Sie seufzt und betrachtet ihren makellosen Körper im Spiegel. Sie hat nichts anzuziehen.
Natürlich nicht, denn heute ist Samstag, sie hat nichts vor und weiß auch nicht, in welche Facette sie zu schlüpfen hat.

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